Ludwig Steigler (MdB)
Interview Ludwig Stiegler, Inforadio rbb, 02.03.2005, 06:47 Uhr
Inforadio: (…) Die Parteivorsitzenden von CDU/CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, haben in einem gemeinsamen Brief dem Bundeskanzler die Zusammenarbeit angeboten im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. Sie sprechen von einem „Pakt gegen die Arbeitslosigkeit". (…)
Schönen guten Morgen, Herr Stiegler."
Stiegler: "Schönen guten Morgen."
Inforadio: "Was machen Sie mit diesem Angebot? Nehmen die Sozialdemokraten das an?"
Stiegler: "Also, wir haben diesen Unsinn schon letzte Woche im Bundestag gehört. Dieser so genannte Pakt enthält nichts anderes als Zumutungen an Arbeitnehmer, nur manchmal etwas getarnt durch bestimmte Begriffe: Die reden von Bürokratieabbau, meinen aber Abbau der Mitbestimmung, der Tarifautonomie oder Ähnliches. Und dort, wo die Union mithelfen könnte, nämlich beim Subventionsabbau, beim Abbau von Steuervergünstigungen für die Wirtschaft, damit der Staat und die Kommunen wieder zu Geld kommen, da verweigern sie sich. Es ist ein abgefeimtes Ablenkungsspiel, das uns in der Sache keinen Zentimeter weiterbringt."
Inforadio: "Was Sie gerade gemacht haben, nennt man gelegentlich auch das Ritual gegenseitiger Schuldzuweisungen."
Stiegler: "Das ist kein Ritual. Wir haben das ja diskutiert letzte Woche. Entschuldigung, wenn Sie sich die zehn Punkte anschauen und vergleichen mit der heutigen Lage, dann sehen Sie, dass daraus nichts werden kann. Wir haben das erste Mal alle Arbeitslosen gezählt, die früher nicht gezählt worden sind. Es fängt ja schon an mit der Hysterisierung der Lage: Wenn wir seit zehn Jahren so gezählt hätten, wie wir heute zählen, dann hätten wir diese Zahlen, die uns heute angeblich alle erschrecken und die Welt total verändern, schon seit zehn Jahren gehabt. Hier wird versucht, mit einer neuen Zählweise und als "Dank" dafür, dass wir uns auch um die Sozialhilfeempfänger kümmern, politisches Kapital und Knüppel gegen den Gegner zu schaffen. Das ist das, was eigentlich vorgeht. Wir werden uns davon nicht beirren lassen, sondern die aktive Arbeitsmarktpolitik, wie wir sie nun instrumentiert haben, auch zum Einsatz bringen. Es stehen 6,55 Milliarden Euro zur Verfügung, und die Arbeitsgemeinschaften und die Optionsgemeinden sollen endlich anfangen, mit den Aktivitäten - und sie können da reichlich 750 000 Menschen wieder zu einer Perspektive verhelfen."
Inforadio: "Wolfgang Clement sagt, er hätte trotzdem für die Wirtschaft, für die Schaffung von Arbeitsplätzen gerne vor der nächsten Bundestagswahl, also noch im nächsten Jahr, die Senkung der Unternehmenssteuern. Gibt es dafür eine Mehrheit in der SPD?"
Stiegler: "Wir werden sehen, was der Sachverständigenrat uns vorschlägt. Wir erleben heute, dass Herr Ackermann Riesengewinne macht und dass die Steuern gesenkt sind und dass er gleichwohl die Riesengewinne mit Arbeitsplatzabbau "belohnt". Früher hieß es: die Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von morgen, so lange dieser Zusammenhang nicht wieder erkennbar ist im Verhalten der gut verdienenden Wirtschaft, solange habe ich jedenfalls keinen Appetit auf Unternehmenssteuersenkungen. Wo ich durchaus sehe, dass wir Zusätzliches machen könnten, ist die Frage der Mittelstandsförderung. Die kleinen und mittleren Betriebe haben gerade mal etwa zur Hälfte 7,5 % Eigenkapital in der Bilanz, im Osten noch weniger, und wenn man da Regelungen schafft, die den kleinen und mittleren Betrieben einen Eigenkapitalaufbau aus nicht entnommenen Gewinnen erlauben, dann bin ich dabei."
Inforadio: "Also, steuerliche Entlastung ja, aber nicht für die großen Konzerne vielleicht, sondern eher für den Mittelstand."
Stiegler: "Wenn, dann eher für den Mittelstand und wenn, dann ist das keine Maßnahme, die sofort wirkt. Denn ich habe von der Union bisher nicht gehört, dass die bereit sind, Subventionsabbau zu machen. Man muss ja auch immer an die Gegenfinanzierung denken. Diese Leute glauben ja an die Quadratur des Zirkels, indem sie einerseits fordern, weniger Steuereinnahmen, auf der anderen Seite weniger Staatsausgaben. Alles, was die Union und ein Teil der rechten Kräfte jetzt mit ihrer Aktion bewirken wollen, ist im Grunde genommen Sozialabbau und nichts anderes. Deren Hoffnung besteht darin, dass es durch Sozialabbau besser wird. Unsere Hoffnung besteht darin, dass es durch Innovation, durch Forschung und Entwicklung, durch Bildung, durch öffentliche Investitionen besser wird. Also wir gehen da in eine andere Richtung: Wir wollen Deutschland als Hochlohnland erhalten und nicht als CDU/CSU-Niedriglohnland verkommen lassen."